« Sonnenuntergang bei Mirleft »: Tiefes Schwarz senkt sich auf Leuchtendrot, ein sattes Blauviolett hält dagegen und schafft eine irritierende Balance der Flächen. Dieser Suggestivkraft ist schwer auszuweichen!
Geballte Ladungen leuchtend ungetrübter Farben des gesamten Spektrums prasseln von Rotschönbergs Bildern auf den Betrachter nieder, springen ihn regelrecht an und nehmen seine ganze Aufnahmefähigkeit in Anspruch. Die Rigorosität des Ausdrucks überrascht, wenn sie nicht gar für den Moment den Atem stocken läßt. Komplementäre Farbpaare prallen unvermittelt aufeinander, schlagen fast Funken. Hier brennt die Luft!
Der zivilisierte Mensch von heute hat ja gelernt einiges zu verkraften, was da an optischen Gewalten und Gewalttätigkeiten täglich auf ihn einstürzt - auf Hochglanz getrimmt oder in rasender Bildfrequenz. Doch R's. Malereien bieten keine Glätte, keine nur harmlos farbenfrohe Schönheit. Die als Landschaften wahrgenommenen Bildwelten strahlen eine energische Unruhe aus, die schon verwirren kann. Nichts zum wohligen Zurücklehnen! ,,Ein Bild, das nicht schockiert, war die Mühe nicht wert", meinte Marcel Duchamp. Doch diese dadaistische Überzeugung ist nicht so sehr R's Schaffensmotivation.
Die Intensität und das Spektrum der Farben, die Heftigkeit des Farbauftrags erinnern zuweilen zweifellos an die deutschen Expressionisten, an den von R. verehrten Schmidt-Rottluff insbesondere. Doch nur auf den ersten Blick steht R. in einer direkten Nachfolge einer Tradition der klassischen Moderne. Gerade im Vergleich mit der ersten Expressionisten-Generation gibt es erhebliche Unterschiede in der künstlerischen Herangehensweise.
Die BRÜCKE-Maler einte ein tiefes Mißtrauen in die Segnungen und Hervorbringungen bürgerlicher "Vernunft". Das Werteraster von Nationalismus, Pflichtgefühl und Tüchtigkeit war ihnen unbehaglich. Sie spürten die Krise, witterten den Weltbrand. Ihre künstlerische Revolte war ehrlich, gefühlsbetont, formal. Sie warfen akademische Prinzipien über den Haufen und griffen auf die Formenwelt primitiver, nicht korrumpierter Kulturen zurück. Auf ihren Bildern um 1910 gingen Mensch und Natur eine neue friedliche Einheit ein. Später kamen die Ambivalenz des Großstadtlebens sowie apokalyptische Visionen hinzu. Diese Themen finden sich bei R. nicht. Sicher ist auch er betroffen von der Problematik heutiger Existenz, die sich globalen sozialen und wirtschaftlichen Mißständen ausgesetzt sieht. Doch mir scheint, der ehemalige Wissenschaftler im Maler gibt bei aller gebotenen Skepsis die Hoffnung auf die Möglichkeiten vernünftigen Handelns nicht auf. Dem Irrwitz der Zeit setzt er gemalte Welten entgegen, die zwar scharfe Widersprüche und Kontraste enthalten, aber letztlich eine produktiv-verheißungsvolle Spannung entfalten, die man auch Zuversicht nennen könnte.
R's. Malereien entstehen zunächst aus einem urwüchsigen Gestaltungstrieb. Da ist vielleicht die Vorstellung von einem bestimmten Farbklang oder einem Flächengefüge. Davon ausgehend erfolgt, mit ungestüm-wildem Gestus, aber durchaus mit kompositorischem Kalkül, die Verteilung der Farben nach jeweils erforderlichen bildgesetzlichen Gewichten, Temperaturen, Wertigkeiten. Die Farben werden gestrichen, geschleudert, getupft, sie rollen in großen Wogen heran. Konturierte Einzelformen, lineare Farbbahnen oder abgegrenzte Flächenzonen - spitz, eckig, gewölbt, gekrümmt gestreckt - steigern die Kontraste und geben der gesamten Komposition manchmal nur mühsam den erwarteten Halt. R. will den abstrakten Ausdruckswert der Farben bis an die Grenzen steigern, will ihre sinnliche Kraft auf die Spitze treiben. Das gelingt ihm mit beeindruckender Stetigkeit, wobei naturgemäß nicht alle Bilder gleichermaßen überzeugen.
Aus der Konstellation von Farbe, Form und Gegenstandskürzel verdichten sich die einzelnen Bildareale zu Tälern, Wäldern, Teichen. Man nimmt die Bilder als erregte und erregende Darstellungen von Landschaften wahr, sie sind auch meist als Landschaften tituliert. Doch man weiß es längst und sieht es deutlich; R's. Bilder sind keine Wiedergaben von konkreten erlebnisgebundenen Motiven im klassischen Sinn. Auslöser für seine Bildfindungen sind eher komplexe Seh-Erlebnisse, die oft nur im Kopf und also imaginär stattgefunden haben. Gesehenes und Empfundenes, im Gedächtnis Gespeichertes und tatsächliche Erfahrungen überlagern sich, fließen in verschiedener Weise - reduziert, überhöht, bruchstückhaft, verzerrt, verklärt - ineinander und bilden so das Material für einen leidenschaftlich und heftig ausgetragenen Malprozeß. Dieser ist stark durch einen nahezu orgiastischen, rauschhaften Umgang mit reinen Farben gekennzeichnet.
R. hat als Maler den Vorteil, keinen akademischen Ballast abwerfen zu müssen. Ziemlich unbeeindruckt von schulmäßigen Handwerksgesetzen und vom verworrenen Lauf der Malereigeschichte verteilt er - nur seiner eigenen Erfahrung und Konzeption vertrauend - die mächtigen Farbströme auf die Formate. Als bekennender Farbenthusiast ist er bei diesem Verfahren freilich auch der Gefahr, mitunter überbordend bunt zu werden, ausgesetzt. Aber der Zuwachs an stilistischer Sicherheit ist augenfällig. Frühere Arbeiten pendelten zwischen hochexpressivem Zackenstil und den Farbflecktafeln des amerikanischen Informel. Auf den Malereien der letzten Zeit tritt zur ungedämpften farbigen Inbrunst ein formschaffendes, selbstentwickeltes ikonografisches Arsenal in Aktion; einzelne Häuser, Bäche, Brücken, Sonnen, standhafte Baumriesen oder rhythmische Reihen von Büschen. So werden die expressiven Abstraktionen zunehmend zu expressiven Sinnbildern - gleißend hell in der Palette, prägnant im Geistigen und verklammert zu packenden ornamentalen Ordnungen.
Mag sein, daß R's. Bilderfindungen das Publikum polarisieren, was durchaus auch im Sinne des Künstlers ist. R. tut etwas seltenes, etwas, was sich nur wenige trauen und leisten. Er widmet sich dem, was ihm sehr wichtig, also lebens-wichtig ist, rückhaltlos und mit Hingabe. Die erfrischende Unbedingtheit seiner menschlichen und künstlerischen Haltung mündet in furiose Malereien.
Setzen wir uns also getrost seinen Arbeiten aus: Es ist Abenteuer, Vergnügen und Genuß.
Dr. Axel Schöne
Dresden, am 9.5.1998