Ein kurzes, jedoch intensives Geräusch - ein Schlucken so scheint es - und nur ein dunkler Hall steht wenige Augenblicke noch im Raum. Für den Kundigen besteht kein Zweifel, aufs neue ist es geschehen, ein weiteres Opfer der Farbsucht wird zu beklagen sein. Obwohl es zunächst eher wie ein gewaltiger Schlag in die Iris des Betrachters wirkt - durch ein beherztes Ausweichen könnte man sich dieser Form der Bild-Attacke noch entziehen - sind die Instabilitäten des Standpunktes die Entscheidenden.
Es ist die Brandung eines grellfarbigen Ozeans, die im Verbund mit kantigen ausdrucksstarken Formen dem traditionsbewußten Betrachter die Füße wegzieht und über ihm zusammenschlägt. Noch ehe ein Moment des Verweilens möglich ist, werden die kräftig mahlenden Kiefer der Bildkomposition tätig. Schützend vorgehaltene Hände oder gar Arme werden zermalmt, ihre Bruchstücke in die Bildkomposition ungestüm eingefügt. Während der Intellekt, noch ankämpfend gegen die hereinbrechenden Farbwogen, die Schubladen der europäischen Moderne nach einem haltbietendem Ismen-Anker absucht, sind die Sinne des Betrachters längst dem fortreißenden Sog des Bildschlundes verfallen.
Dieses Ringen - soll ich oder soll ich nicht - ja überhaupt die Frage nach der Zulässigkeit eines derart tabubrechenden Bildumgangs bei Rotschönberg führt nicht selten zur Polarisierung der Betrachter. Schroffe Ablehnung und euphorische Begeisterung nebeneinander sind im Angesicht dieser brutal daherkommenden Bildwerke keine Seltenheit.
Doch gerade solche ungestümen Momente, diese Fußangelkombination aus Neuer Romantik und Abstraktem Expressionismus, sind es, die nicht unwesentlich den Reiz dieser BETRACHTERFRESSER ausmachen. Genau genommen ist die Entscheidung für das Landschaftsmotiv nichts anderes als den Wolfspelz der Abstraktion dezent durch ein Schaffell zu verbergen - er könnte uns auch ungegenständlich kommen.
Sensible, poetische Momente sind eher die Ausnahme in Rotschönbergs Farbwelten, eher sind es die Stolperkanten der Spachtelspuren auf der Leinwand, an denen das Auge hängenbleibt und in das Bild gezogen wird. Daß diese auf den Malgrund wild aufgetragenen Farbrülpser, die dem Betrachter geradezu auf das gute Hemd spritzen, durchaus ein gewisses Sex-Appeal (einen gewissen Charme) haben, erschließt sich selten auf den ersten Blick und ist für manchen gewöhnungsbedürftig.
Es ist letzten Endes die Ehrlichkeit, mit der Rotschönberg seine Bildfangeisen auslegt und die den Betrachter gegen alle rationalen Widerstände jedesmal aufs neue gewinnt.
Und deshalb sei allen Zauderern zugerufen:
Ach was! Kopfsprung - Kabolz - hinein!
Frank Siewert, Maler, Berlin, April 1997